Manchmal kommt es anders als man denkt, alle Pläne werden über den Haufen geworfen, und die Gedanken überschlagen sich. So erging es mir in der letzten Woche.

Ich war in Berlin, als ich die Nachricht bekam, dass meine Mutter mit einem Schlaganfall im Krankenhaus war. Ihr Herz war seit einiger Zeit schwach, und sie wusste, dass es zum Herzinfarkt oder zum Schlaganfall kommen würde, und war im Frieden damit. Sie hatte ihr Leben wirklich gelebt und war bereit zu gehen, wenn ihre Zeit kam. Sie hatte auch immer wieder und überall auf ihre deutliche Art klargemacht, dass sie lieber tot als in schulmedizinischer Behandlung, im Krankenhaus oder im Pflegebett sei. Als ich mit ihr telefonierte, so gut das eben ging, war ihre Moral im Keller. Sie fühlte sich zwar in besten Händen (und das soll was heißen), aber es war ihr wichtig, mich in dem kurzen Gespräch an ihre Vorsorge-Vollmacht und Patienten-Verfügung zu erinnern.

In den nächsten sechs Tagen erlebten wir eine wahrliche Achterbahn aus Emotionen und Gedanken, ständig in Dilemma-artigen Entscheidungs-Situationen, wo keine Ratio ausreichte:
Was machen wir? Was würde sie wollen? Wie würde sie entscheiden, wenn sie bei Bewusstsein wäre und sich mitteilen könnte? War sie vielleicht bei Bewusstsein und konnte sich nur nicht bemerkbar machen? Warum hat sie sich vom Nachbarn ins Krankenhaus fahren lassen? Hatte sie ihre Meinung geändert? Wann würden meine Behandlungs- und Therapie-Entscheidungen (zwar in Absprache mit den Ärzten, doch das letzte Wort lag bei mir) sie vor ihrer Zeit umbringen, wann würde ich jedoch künstlich ihr Leben verlängern oder ihr gar die Möglichkeit des Austritts nehmen (und dafür würde sie mir dann den Kopf abmachen)? Wie groß würden die bleibenden Schäden tatsächlich sein und mit wieviel würde sie leben wollen?

In diesen Tagen war ich extrem dankbar über die Werkzeuge, die ich in der Psychology of Vision gelernt hatte, und jetzt nutzen konnte.
Ein Hauptwerkzeug für mich war, wie ich es nenne, „Dem Puls folgen“. Immer wieder hab ich mich in meine Herzens-Weisheit hinein-gelehnt und hinein-gefühlt, um den nächsten Schritt und die nächste notwendige Handlung zu erkennen. Wenn die Gedanken mich in den Wahnsinn treiben wollten, hab ich, so gut es ging, innegehalten und nach meinem spirituellen Herzschlag gelauscht. Es war wie im Dunkeln unterwegs zu sein, ohne Funken Licht oder Orientierung. Der Weg war nur emotional zu erfühlen, um dann einen Schritt zu machen, wieder innezuhalten und erfühlen, und dann einen weiteren Schritt zu machen. Dorthin, wo der Puls mich hinführte. Und das alles, während mir die Zeit im Nacken saß und Ärzte Entscheidungen brauchten.

Es war diese erlernte oder wieder angeeignete Fähigkeit, mit der Intelligenz des Herzens einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne aus Verzweiflung nur mit dem Verstand in irgendeine Richtung loszurennen. Das Herz kennt den Weg! Wir brauchen nur den Mut und die nötige Ruhe aufbringen, um ihn sehen/fühlen zu können, und ihm im Vertrauen folgen.
Mich hat dieser Puls in diesen Tagen perfekt geleitet, und als meine Mutter dann friedlich eingeschlafen war, war ich so überwältigt von dem Gefühl des Triumphs, der Dankbarkeit, des Gesegnet-sein und dem Wissen, dass wir alles richtig gemacht haben, dass ich tatsächlich um ihr Bett tanzte. Ich feierte den Erfolg dieses Prozesses und ihrer und meiner Schritte – und ich konnte fühlen, dass sie mit-tanzt.

Wenn auch bei dir vielleicht Entscheidungen anstehen, ob leicht oder schwierig, kann ich dir nur Mut machen, nach deinem Weisheits-/Herzens-/emotionalen/spirituellen-Puls Ausschau zu halten und nur ihm zu folgen. Es wird keine Fehler geben, wenn du dies tust, denn das Herz kennt den Weg. Die Liebe kennt den Weg. Und sie geleitet uns sicher und unversehrt selbst durch die dunkelste Nacht.

Anne-Kathrin Koch

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